vestimentär – parasitär

Kein Projekt, kein Statement, vielmehr eine Handlung, eine Tat und Tatsache, ein Objekt: ein Parasit. Mein Körper, mein Dreck, mein Schwitzen, mein Schnaufen und Stöhnen, meine Schmerzen, mein Müde, mein Zuviel für zuwenig Kröten haben etwas geschaffen: eine Idee, ein Machen, ein Lachen und Freuen, ein hämisches Grinsen. Nur ein Verstecktes in der Unterhose, im Kunstwerk eines berühmten Künstlers, zugegeben eines recht sympathischen, aber diese Sache mit der Edition, die dann eine kleine dumme Frau in der Provinz in Heimarbeit produziert, ich. Die Frage, was dann überhaupt noch Kunst ist oder sein soll oder will. Was sie von mir will, nein, was ICH von der Kunst will und von mir, von meiner Präsenz. Warum dieses Wollen, mich zu artikulieren, Teile von mir zu verarbeiten, meine Kleidung, MEINE Unterhose, meine Haut, mich einfach einzunähen, zum Teil eines anderen zu werden, mich implementieren, mich parasitisieren, mich auf gar keinen fall länger prostituieren in keinem System, keiner Rolle, nicht in der Kunst, nicht von denen oder anderen, mich nicht länger präsentieren. Einfach machen, was die Finger können, was das Herz will und der Verstand sagt: Nähen. Meine Kleidung ist immer ein Teil von mir, an mir oder wo auch immer. Ich bin dort und hier, und vielleicht noch eher in der Unterhose hier als in irgendeinem anderen Innern, das auch keiner sieht …

Zehn Jahre ist das her. Wie lange sind genetische Körperspuren haltbar? Glaubt mir jemand, was ich da gemacht habe. Interessiert es überhaupt noch? Mich hat es entlastet, ich habe mich gefreut, ich habe gelacht, gekichert, es Freunden erzählt, im Kleinen triumphiert. Meine Unterhose habe ich übrigens die ganze Zeit – sechs Tage waren es – getragen, bevor ich sie genüsslich zerschnitten habe und erst ganz zum Schluss eingenäht habe, mit der Maschine. Erst einmal im Karré und dann noch mal ein Kreuz, wie markiert, vorne rechts am Henkel, glaub ich. „The copyright marks the border between the public and private domains!“, hat AA Bronson mal gesagt. Und was markiert noch die Grenzen meines Körpers? Parasitär leben heißt, ausnutzen, was sich bietet, und leben lassen. Vestimentär-parasitär handeln heißt dann, mit Hilfe der Kleidung resistente Techniken entwickeln und anwenden: Nähe Dich um Kopf und Kragen!

Die Aktion

Im Dezember 1998 habe ich für Texte zur Kunst die Künstler-Edition „Jockey Short shopping bag“ für AA Bronson von General Idea genäht. Es handelte sich um eine Unterhose von Jockey, die mit Bündchengummi als Henkel und an den Beinen zugenäht, zu einer Tragetasche umgearbeitet wurde. In jede einzelne habe ich ein Teil meiner eigenen tagelang beim Nähen getragenen Unterhose eingenäht. Es handelte sich um 123 Stück. Bezahlt wurde ein Honorar von 900,- DM. Verkauft wurde die handsignierte Edition zusammen mit einer kopierten Entwurfsskizze und den Teilen meiner Unterhose für je 400,- DM. Sie verkaufte sich nur schleppend. Seit Dezember 2007 ist sie vergriffen.

 

Ein Foto, eine Äußerung und ein Gespräch

Das Foto soll eine Ahnung vermitteln von dem, was eben nicht dahinter oder darin verborgen liegt, sondern dem Betrachter irgendwie entgegenkommt. Das kann jedoch nur geschehen im Zusammenhang mit der Äußerung, die ein Gefühl vermittelt, wie die Fotografie zu verstehen ist. Diese Aussage ermöglicht erst ein Sehen dessen, was sich zeigt.

Das Gespräch ist ein Plaudern über das, was war und was in gewisserweise noch immer da ist. Das Sprechen über die Aktion selbst ist sowohl eine Erläuterung des eigentlichen Geschehens, als auch die einzige Möglichkeit der Künstlerin eine erzählende Distanz zum Ereignis einzunehmen. Es ermöglicht einen Raum gemeinsamer Wahrnehmung, es schafft etwas Atmosphärisches, das andere Dimensionen des Erkennens von Phänomenen ermöglicht.

Foto, Äußerung und Gespräch bilden gemeinsam gleichsam einen Klang, der nachträglich die Wut, Sprachlosigkeit und Heimlichkeit einer nähenden Frau zum Tönen bringt. Foto und Äußerung liegen bereits vor. Das Gespräch ist geplant mit einer befreundeten Kulturwissenschaftlerin, die noch nichts über die Aktion weiß. Es soll aufgezeichnet und möglichst genau in Text übertragen werden, und zwar in Anlehnung an Transkribtionsverfahren für narrative Interviews.

 

 

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