… jedem bekleideten Menschen sein Double an Kleidung hinzufügen … a.artaud.

 

Eine Sprache, die sich im Raum entwickeln soll und außerhalb von ihr ihren Sinn verliert.“

 

Die Inszenierung bewegt sich in einem abstrakten Rahmen. Sie realisiert keine dramatische Vorlage, sondern stellt eine Auseinandersetzung mit Antonin Artauds Forderungen in einem zeitgenössischen Kontext dar. Das sonst hauptsächlich auf dem Wort basierende Schauspiel wird durch das gleichberechtigte Nebeneinander der unterschiedlichen Ausdrucksmittel ersetzt. Es entsteht eine Textur oder Komposition aus Wort, Körper, Bild, Raum und Musik.

Die Bühne wird durch eine raumgreifende Projektionsfläche immer wieder verändert. So entstehen fünf verschiedene Räume. Jeder dieser Räume trägt eine eigene Überschrift. Thematisiert werden WORT, KÖRPERLICHKEIT, KÖRPER, FRAKTUR und RAUM. Der Spiel- und Handlungsbogen, die Gesamtheit der Räume und ihre Dramaturgie spielen mit der Verschiebung der Wahrnehmung des Zuschauers.

Die Musik macht Anleihen bei der minimal music, zu deren bekanntesten Vertrertern Komponisten wie Phillip Glass oder Steve Reich gehören. Die Szenen gewinnen ihre rhythmische und dynamische Struktur durch die komplexen Klangkompositionen von Schlag- und Marimbahölzern.

Die Kleidung der Spieler und Spielerinnen, insbesondere ihr Farbspektrum, verweigert sich einer direkten Einordnung in psychologische, symbolische und gesellschaftliche Konventionen. Diese bewußte Uneindeutigkeit fordert dazu auf, über Kleidung an sich nachzudenken.

 

Inszenierung und Kleidung sind nicht voneinander zu trennen. Die Kleidung im theatralen wie im alltäglichen Raum spricht eine ihr eigene, spezifische Sprache – eine vestimentäre Sprache. Indem ich ein bestimmtes Kleidungsstück anlege, spiele ich eine Rolle – eine mehr oder weniger fest umrissene Rolle. Durch die Wahl meiner Kleidung kann ich bewusst Abgrenzungen und Zugehörigkeiten aufzeigen, sofern ich die diversen Spielregeln der vestimentären Sprachspiele kenne und anzuwenden weiß. Somit ist das tägliche Sich-Kleiden immer auch eine Inszenierung der eigenen Person.

Die Körperlichkeit des Schauspielers, seine Rolle und das Kostüm ergänzen sich zu einer theatralen Figur. Die Fähigkeit des Zuschauers dies zu verstehen, zu decodieren, und somit Bedeutung zu lesen, wird im kulturellen Raum erlernt, im Alltag. Interessant erscheint an diesen Verständnismechanismen das Moment des bewussten Decodierens des Inszenierten, der inszenierten Kleidung. Im Bühnenraum findet nämlich eine Doppelung statt: Kleidung, die immer auch Inszenierung ist, wird in Szene gesetzt. Durch das konsequente Verfolgen der vestimentären Sprachspur –damit meine ich das  Darstellen und Offenlegen ihrer Funktionen und Mechanismen – folgt die Möglichkeit des Aufzeigens einer ‘inszenierten Inszenierung’ im Theater. 

Körperkostüm vs. Rollenkostüm: Die Kostüme sind in erster Linie Kleidung, d.h. eine Hose ist eine Hose, ein Kleid ist ein Kleid. Ihre Aufgabe ist nicht, Bedeutung in Bezug auf das szenische Spiel eines Darstellers zu produzieren, sie verdeutlichen keine Rolle. Das Kostüm legt keine rollenbezügliche Individualität des Darstellers fest. Allerdings ist jedes Kleidungsstück maßgeschneidert. Es wurde dem individuellen Körper angepasst, und dieser passt sich z.B. in seinen Bewegungen dem Kleidungsstück an. 

Jedem Kleidungsstück entsprechen Textstellen, die Korrespondenzen und Korrelationen zwischen szenischem Spiel und Körperkostüm ermöglichen. Die Identifikation des Darstellers mit dem Kostüm findet also neben der körperlichen Beziehung auch in der szenischen Beschäftigung mit diesen Textstellen statt.

Farben und Formen: Die Individualität der Darsteller wird durch die spezifischen Schnitte und die diversen Farben betont. Die Farben werden als ‘Nichtfarben’ deklariert, denn ähnlich wie alle Nuancen von Grau, gemischt aus den eigentlichen Nichtfarben Schwarz und Weiß, verweigern sie sich eindeutigen symbolischen und psychologischen Bedeutungszuweisungen sowie physikalischen Einordnungen. Ihre Qualität ist die Uneindeutigkeit ihrer Expression, das Dazwischen.

Ihre Kombination führt zu einer spezifischen Homogenität der Mehrdeutigkeit. Einzelne Farben treten in ihrer individuellen Qualität zugunsten eines gemeinsamen Farbakkordes zurück. Trotzdem können sich insbesondere durch die Kombination von zwei oder drei Farben auch farbintensivierende Kontraste ergeben oder harmonisierende Gleichklänge. Diese Wirksamkeit von Farben beruht auf physikalischen und biologischen Gesetzmäßigkeiten, die in diversen Farbtheorien erforscht und entwickelt wurden. 

Kostüm und Kollektion: Die Kleidungsstücke können als individualisierendes und kollektivierendes Moment verstanden werden. Die Individualität des einzelnen Kostüms ergibt sich aus dem Bezug auf die spezifische Körperlichkeit der Darsteller, dem besonderen Schnitt und in der einmaligen Setzung einer Nichtfarbe. Die Homogenität der Kostüme wird durch die standardisierte Konstruktion der Schnitte anhand von Maßtabellen, durch wiederkehrende Schnitttechniken und durch harmonisierende Farbakkorde erreicht

Die Körperkostüme als Gesamtheit werden als Kollektion begriffen und durch ein Label markiert. Dadurch wird eine besondere Identifikation des Darstellers mit der Gruppe ermöglicht und die homogene Individualität des Einzelnen betont.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

164. 272-275. 368-375. 436-442. 1389-1392. 1406-1411. 1470-1477. 1795-1812. 2939-2941. 3104-3141. 3215-3222. 3278-3284. 3931-3939. 3956-3960 …

 

Inszenierung im Rahmen des Semesterprojekts Neun Reisen in die Welt der theatralen Zeichen im SS 1998 an der Universität Hildesheim, Leitung: Sven Sappelt, Katharina Schlieben, Dagmar Venohr.